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Alptraum oder Chance – Corona mischt die Karten der Wirtschaft neu. Wer den Schuß der digitalen Transformation bis jetzt nicht gehört hat, wird nun erbarmungslos zum Handeln gezwungen. Ab sofort gilt die Darwin-Maxime: Anpassen, oder sterben. Höchste Zeit also für Unternehmen, ihr Marketing komplett neu auszurichten.

Zugegeben, viele Unternehmen haben in den letzten Wochen ungewohnt schnell reagiert. Remote Work eingeführt. TV Spots umgeschnitten. Media-Budgets geshiftet. Kosten-Sparprogramme aufgesetzt, bis die Krise vorbei ist.

Also alles ok. Oder?

Leider nein, leider gar nicht. All diese Massnahmen sind kurzfristig sinnvoll, keine Frage. Sie zielen aber primär darauf ab, schnellstmöglich wieder zum alten Status Quo zurück zu kehren. Vielleicht mit ein paar Umsatz-Einbussen und Gewinnwarnungen, danach aber im Grunde wieder weiter machen wie vorher.

Dieses Szenario ist möglich, für viele Unternehmen aber so wahrscheinlich wie die Chance der Avengers, in Endgame Thanos zu besiegen (Spoiler: 1:14 Millionen).

Weitaus realistischer scheinen Szenarien für andere Zukünfte – in denen NICHTS wieder so sein wird, wie vorher.


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Dafür braucht es nicht mal eine globale Rezession. Schon jetzt brechen manche Märkte wie der Tourismus komplett zusammen. Wettbewerbslandschaften wie in der Flugfahrt oder Modeindustrie werden bereinigt. Selbst nach einem Ende des weltweiten Lockdown wird das Kauf- und Konsumverhalten von Menschen für mindestens 1-2 Jahre ganz anders aussehen als bisher.

Mit „Augen zu und durch“ dürfte es dieses Mal also eng werden. Dann doch lieber Zweckoptimismus. Die „Krise als Chance“ ist zwar ein abgedroschenes Klischee, steht aber eben auch am Beginn jeder Heldenreise, die im besten Fall zum Happy End führt. Anders gesagt: Ohne Konflikt keine Veränderung.

Warum nutzen wir Corona also nicht als Chance für einen radikalen Neustart im Marketing?

„Neustart“ klingt natürlich erstmal nervig. Dabei wäre er längst überfällig.

Wenn wir ehrlich sind, waren viele Unternehmen und Branchen auch schon vor Corona in der Krise. Nicht nur, aber eben doch sehr häufig auch, weil man diese verdammte digitale Revolution gern so lange wie möglich ausgesessen hat.

Das gilt leider auch für die Werbebranche.

Seit Jahren ringen Marken und Agenturen mit den Folgen der Digitalisierung im Marketing. Nach anfänglicher Verweigerungshaltung und zwischenzeitlicher Euphorie stecken sie nun irgendwie fest zwischen dem Zwang zur Performance und dem Drang nach Purpose, kleinteiligem Asset-Gefrickel und großen Marken-Stories. Von Consultancy-Übernahmen und Inhouse-Trend ganz zu schweigen.

Dazu kommt, dass nur wenige willens und fähig waren, ihre Geschäftsmodelle an die Gegebenheiten des digitalen Zeitalters anzupassen. Trotz ständig schrumpfender Margen und immer längeren Anforderungskataloge lief es scheinbar immer noch gut genug. Bis jetzt.

Corona wirkt letztlich wie die Rückkehr der digitalen Disruption auf Speed. Ein Virus, das alle Unternehmen tötet, die sich nicht schnell genug an die neue Realität anpassen – oder neue Ansätze fürs Marketing finden.

© Photo by Jongsun Lee, on Unsplash

„Adapt or Die.“ Ein Weckruf für Marketing in einer Corona-Welt.

Fair ist fair: an Vorschlägen zur Lösung der Krise mangelt es wirklich nicht. Kaum eine Agentur, die noch keine Statement-Artikel, Whitepaper, Serviceangebote aus dem Boden gestampft hat. Kaum eine Marke, die noch keine eigenen „Stayhome“-Hashtags, Dankeschön-Werbespots oder aufmunternde Social Media-Postings einsetzt.

Die smartesten Köpfe der Branche entwickeln ausgefeilte Analysen, prognostizieren Phasen-Verläufe, skizzieren Szenarien, formulieren Handlungsempfehlungen und beschwören ein „neues Normal“. Alle schlau, catchy formuliert, aufwendig produziert.

Eins fällt aber auf: Niemand will so richtig ans Eingemachte. Fast alle Ansätze basieren auf dem gleichen Verständnis von Marketing, Markenführung und Business-Modell, das viele schon vor Corona in die Krise gebracht hat.

Je nachdem, wen man fragt, gibt es dann auch die immer gleichen Patent-Rezepte für die Zukunft in verschiedenen Nuancen.

1. Kreativität.

„Unternehmen brauchen eine Rückbesinnung auf Kreativität und die Kraft der Marke als den ultimativen Differenzierungsfaktor.“ – Kreativ-Agenturen, Influencer und Content-Produzenten.

2. Empathie.

„Unternehmen brauchen einen maximalen Fokus auf Consumer Experience und Customer Centricity.“ – Beratungen, Design- und Innovations-Agenturen.

3. Technologie-Kompetenz.

„Unternehmen brauchen eine neue Offenheit für Technologie und ein Umschwenken auf datengetriebenes, automatisiertes und personalisiertes Marketing.“ – Digital- und Media-Agenturen, Plattform-Anbieter und Vermarkter.

Alles irgendwie richtig. Alles gleichermassen wichtig. Geht aber leider nicht weit genug.

Kreativität, Empathie und Technologie-Kompetenz sind schließlich Basis-Fähigkeiten, die alle Marketer im 21. Jahrhundert besitzen sollten.

Nicht jede Agentur muss alle 3 gleich gut beherrschen oder Full Service anbieten. Sie zusammen zu denken, sollte aber längst selbstverständlich sein.

Was die Corona-Krise aber spätestens jetzt schmerzhaft offensichtlich macht: Unternehmen brauchen eine wichtige vierte Fähigkeit auf Organisations-Ebene, um in den nächsten Monaten des konstanten, ständig schnelleren Wandels zu bestehen.

4. Adaptibilität

Unternehmen brauchen eine hohe Adaptabilität, um sich in einer extrem dynamischen Welt immer wieder schnell an neue Konsumenten-, Umwelt- und Marktbedürfnisse anzupassen.

Eigentlich galt das sogar schon, bevor die digitale Revolution den weltweiten Wandel nochmal beschleunigt hat: In einer komplexen, kaum planbaren Welt werden auf Dauer die Unternehmen erfolgreich sein, die flexibel mit ständig wechselnden Rahmenbedingungen umgehen können. Organisationen mit der Resilienz, Krisen weg zu stecken und als Anlass zur Weiterentwicklung zu nutzen.

Adaptabilität beschreibt die Fähigkeit einer Organisation, genau das zu tun. Schnelle Entscheidungen zu treffen. Radikale Kurswechsel vorzunehmen. Wertschöpfungsketten, Ressourcen, Mitarbeiter-Setups immer wieder an neuen Umweltbedingungen auszurichten.

Oder, um es mit Bruce Lee zu sagen: „Be water, my brand.“.

© Photo by Fervent Jan, on Unsplash

„Be water, my brand.“ Wie Unternehmen Adaptabilität aufbauen können.

Das wichtigste zuerst: Für Anpassungsfähigkeit gibt es keine One size fits all-Ansätze. Gerade weil jedes Unternehmen, jeder Markt anders ist und sich die Umwelt ständig ändert. Hier sind aber 5 Felder, die als Startpunkt dienen können.

  • „Always Day One“-Mindset. Unternehmen brauchen Offenheit für Wandel und den Willen, schnell Neues zu lernen und sich ständig weiter zu entwickeln. Historisch gewachsene Strukturen, liebgewonnene Traditionen und etablierte Business-Modelle müssen regelmäßig hinterfragt und im Zweifel knallhart angefasst werden. Dabei dürfen selbst heilige Kühe wie Marken-Essenz oder Brand Purpose nicht aussen vor sein, eher sie zum Hemmschuh der Evolution werden. Außerdem wichtig: Eine gesunde Fehlerkultur und Risikofreude – denn nur so kann man lernen.
     
  • Adaptive Organisation. Unternehmen brauchen neue Formen der Organisation, um beweglicher zu sein. Das kann bedeuten, starre Strukturen und Silo-Units komplett aufzulösen – und stattdessen Ecosysteme von vielen eng vernetzten, internen und externen Spezialisten zu bauen. Die sich dann situativ neu zu Projektgemeinschaften zusammen finden und um Customer Missions organisiert sind. Ein Quick Win sind flexiblere Arbeitsmodelle für Festangestellte und einfachere Rahmenbedingungen für die Kooperation mit Freelancern, Kollektiven oder Partnern.
     
  • Variable Prozesse. Unternehmen brauchen neue Wege, um Probleme zu lösen. Statt aus Tradition im Wasserfall zu denken oder Agile um jeden Preis durch zu drücken, sollte der Prozess variabel an das jeweilige Problem angepasst werden (z. B. via Stacey-Matrix). Dafür braucht es natürlich auch das Commitment und die Kompetenzen zum anderen Arbeiten. Das gilt gerade für oft chaotische Kreativprozesse, die zum Beispiel mit Design Sprint-Methoden oft wesentlich strukturierter und effektiver ablaufen können, ohne den nötigen Freiraum zunehmen – wenn man sich darauf einlässt.
     
  • Offene Kollaboration. Unternehmen müssen Zusammenarbeit und Wissensaustausch neu organisieren. Das kann bedeuten, fixe Team-Strukturen mit hierarchischen Entscheidungswegen und Herrschaftswissen aufzulösen. Und dafür auf selbstbestimmte, projektbezogen zusammengestellte Teams zu setzen, die jederzeit Zugriff auf alle Informationen haben und sich mit anderen austauschen können. Auch außerhalb der Organisation. Ein Quickwin sind diversere und heterogenere Teams – in denen zum Beispiel Strategen, Design Thinker, Tech-Experten und Kreative gleichermaßen vertreten sind.
     
  • Adaptive Business-Modelle. Unternehmen brauchen neue Geschäftsmodelle, um in modernen Märkten zu bestehen. Ein Weg wäre, bestehende Leistungen und Pricing-Modelle komplett neu zu denken. Zum Beispiel Sprint-Formate oder fair kalkulierte „Ideen-Abonnements“ anzubieten, bei denen Kunden nur für klar definierten Output zahlen – statt Standard-Retainer für üppige Teams und vage Deliverables. Ein anderer Weg wäre Diversifizierung durch ein breites Kunden-Portfolio und verschiedene Revenue-Streams, um Risiken zu reduzieren. Zum Beispiel freie Team-Kapazitäten als Creative Capital in Startups & Co. zu investieren. Oder eigene Produkte und Inhalte wie branchenspezifische Software, Youtube-Shows, Streetwear-Kollektionen kreieren und direkt vermarkten – statt nur die von Kunden.

Zugegeben: Wenig davon ist wirklich neu. Warum haben viele Unternehmen solche Massnahmen dann nicht schon vor Jahren unternommen?

Wandel ist hart, keine Frage. Letztlich war wohl für viele der Veränderungsdruck vor Corona einfach nicht gross genug. Umso wichtiger wäre es, spätestens jetzt den Schalter endlich umzulegen und den Wandel zur adaptilen Organisation aktiv einzuleiten.

Vielleicht ja sogar so weitreichend, dass man dann auch für kommende, noch größere Krisen besser gerüstet ist. #ClimateChange.

Fazit: Die Zukunft gehört den Anpassungsfähigen.

Corona ist wie die zweite Welle der digitalen Revolution und zwingt viele Unternehmen zu genau der Business-Transformation, die sie seit Jahren ausgesessen haben.

Der Weg aus der Krise erfordert einen radikalen Neustart des Marketing, der nicht nur auf die alten Rezepte setzt. Kreativität, Empathie und Technologie-Kompetenz bleiben weiter essentielle Fähigkeiten. Unternehmen brauchen in Zukunft aber vor allem eins: Adaptabilität.

Adaptabilität ermöglicht Organisationen, sich schnell an neue Bedingungen anzupassen. Und schafft so die nötige Resilienz, um in einer sich ständig wandelnden Marketing-Landschaft auf Dauer zu bestehen.

Für Adaptabilität gibt es keine One Size fits all-Ansätze. Aber viele Felder, auf denen Unternehmen schnell Erfolge erzielen können – wenn sie nur wollen. Dazu gehören ein Always Day One-Mindset, adaptive Organisation, variable Prozesse, offene Kollaboration und nicht zuletzt adaptive Business-Modelle.

Wie man in vielen Unternehmen in den letzten Wochen gesehen hat, sind Mut, die notwendige Dosis Pragmatismus für schnelle Entscheidungen und die Bereitschaft für Veränderung durchaus vorhanden.

Warum nutzen wir die Krise nicht als Chance, sie noch viel weitreichender anzuwenden?

Hinweis: Dieser Artikel erschien in leicht abgewandelter Form zuerst in der Print-Ausgabe des New Business Magazins Nr. 22/2020 am 25.05.2020.

Alex Glasneck

Alex Glasneck is a Strategy Consultant for Brand, Digital & Experience. He advises companies on digitization and innovation - and writes about opportunities and risks of the new, digital world.

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