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Es klingt wie ein Klischee, ist aber immer noch wahr: „Klassische“ Werber und Digital-Kreative verstehen sich einfach nicht. Es ist wie ein ewiger Kampf zwischen ‚Mad Man’ Don Draper und ‚Mr. Robot’ Elliot Alderson. Nur dass beide mittlerweile im selben Team sind und eigentlich zusammenarbeiten sollten. Nach 10 Agenturjahren habe ich eine Theorie, warum das so ist – und wie man die digitalen Gräben in Agenturen überwinden kann.

Der Digitale Graben in Agenturen

Jeder im Agenturbusiness kennt das Problem: Klassik und Digital sind zwei Welten, die auch 2016 irgendwie nicht zusammen gehen. Auch wenn nach außen alle das Gegenteil behaupten und seit Jahren „total integriert“ arbeiten.

Leider Bullshit. Die großen und kleinen Konflikte schwelen überall und werden nicht weniger. Einfach zu erkennen am mangelnden gegenseitigen Verständnis, den kleinen Bemerkungen am Rande, oder der fehlenden gegenseitige Wertschätzung für das, was der andere tut. „Die Klassiker können nur Bewegtbild-Geschichten und haben keine Ahnung vom Internet.“ vs. „Die Digitalos wollen immer ihre Plattform und machen mit technischen Argumenten unsere schönen Stories kaputt.“.

Meine Theorie: Hier prallen nicht nur Welten aufeinander, die aus anderen Business-Modellen und Unternehmens-Traditionen resultieren. Kern des Konfliktes sind gegensätzliche Persönlichkeitstypen und Denkmodelle, die in Klassik- und Digitalagenturen über Jahrzehnte gebildet und gefördert wurden.

Extrem zugespitzt geht es um Entertainer vs. Erfinder, Storyteller vs. Hacker, Emotion vs. Rationalität – oder eben um Mad Men vs. Mr. Robot.

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Der Mad Men-Typ:
Klassische Werber & Storyteller

Selbstbild & Motivation: Viele klassische Werber im Stil eines Don Draper sehen sich selbst bewusst oder unbewusst als Künstler. Oft sind sie auch sehr kreativ, nur dass sie ihre Begabung in der Werbung ausleben statt direkt Filme, Musik oder Kunst zu schaffen. Sie wollen große Geschichten erzählen, um Menschen zu unterhalten und emotional zu bewegen.

Ihre Motivation? Extrinsisch. Sie brauchen die Anerkennung anderer zur Selbstbestätigung. Darum sind Preise in Cannes oder anderen Kreativ-Wettbewerben auch so wichtig – hier stehen die Kreativen im Rampenlicht und können sich für ihre Kunst feiern lassen.

Kreative Vorlieben: Am liebsten erzählen sie Geschichten in Werbeformen für Broadcast-Medien wie TV. Am besten so opulent umgesetzt wie möglich – was machen eigentlich Ridley Scott und Kevin Spacey in 3 Monaten?

Ein möglicher Grund: TV-Spots, Print-Anzeigen und „Viral“-Videos werden durch den Mediadruck von vielen Menschen gesehen. Das kreative Produkt erhält viel Aufmerksamkeit und ist ein in sich abgeschlossenes Kunstwerk. Nicht umsonst bedeutet für viele Kreative ein Cannes Award für Bewegtbild die höchste Weihe.

Im Gegensatz dazu sind performance-orientierte digitale Werbeformen durch Segmentierung und Personalisierung oft sehr fragmentiert, technisch komplex, und weniger spektakulär. Darum sind Social Media „Always on“-Contents oder Dynamic Retargeting Ads den Mad Men oft ein Greuel. Das gilt auch generell für technische Details, die drohen, die „große Idee“ zu zerfasern oder klein zu machen.

Organisationsformen & Arbeitsweise: Die Mad Men-Vorlieben und Einstellungen sind eng mit den Organisations-Strukturen und Arbeitsweisen in traditionellen Werbe-Agenturen verbunden. Nehmen wir die Trennung von Units in Kreation, Beratung, Strategie, Media. In vielen Agenturen gibt es sie heute noch, und zwar nicht nur organisatorisch. Sie wird auch oft unbewusst im gegenseitigen Umgang miteinander aufrecht erhalten.

Die Mad Men-Welt fördert ein Selbstbild, das Kreative zu Lichtgestalten erhebt und alle anderen zu Pappenträgern degradiert. Wie im Branchen-Klassiker „39,90“ können Berater Termine eintragen und alle irdischen Lasten von ihnen fern halten. Strategen haben Argumentationen zu liefern, die die kreative Idee verkaufen – nicht etwa, Leitplanken für Arbeiten zu liefern, die Kundenprobleme lösen.

Hierarchien und Titel sind sehr wichtig und werden strikt aufrecht erhalten. Das ermöglicht einerseits klare und verbindliche Entscheidungen, fördert aber andererseits einen mitunter kontraproduktiven Individualismus.

Kritik am eigenen Werk wird häufig als Bedrohung empfunden – erst recht, wenn sie von anderen Gewerken kommt. Kollaboration und gemeinsames Entwickeln von Ideen über Abteilungen hinweg sind deshalb oft weniger angesehen.

Eine Schattenseite der Mad Men-Welt: Nicht immer gewinnen die besten Ideen und Anerkennung wird selten aufrichtig geteilt. Awards gehen immer an das Kreativ-Team, nie an alle Kollegen auf dem Projekt – selbst wenn Berater / Strategen vielleicht den entscheidenden Insight geliefert und das Projekt überhaupt erst auf die Strasse gebracht haben.

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Der Mr. Robot-Typ:
Digitale Kreative & Hacker

Selbstbild & Motivation: Viele Digital-Kreative sind stark beeinflusst von der Hacker-Ethik und Prinzipen aus Cluetrain Manifesto und Open Source-Bewegung. Sie wollen Probleme lösen, den Status Quo hinterfragen und am liebsten das nächste Google erfinden. Sie setzen auf Technologie, um die Welt zu verbessern und messbare Ergebnisse zu erzielen.

Ihre Motivation ist eher intrinsisch. Sie brauchen keine Preise oder öffentliche Anerkennung. Ihre Selbstbestätigung ziehen sie daraus, Probleme zu lösen und Dinge besser zu machen, die in ihren Augen nicht funktionieren. Das gilt auch für bestehende Strukturen, Hierarchien, Prozesse.

Kreative Vorlieben: Mr. Robots lieben Dialog auf Augenhöhe und (technische) Lösungen für Probleme wie Websites, Apps und moderne Social Media-Plattformen. Idealerweise starten sie mit einer Beta-Version, die dann in zahllosen Agile-Sprints verbessert wird – Larry Page und Marc Zuckerberg wurden ja auch mit „Try. Fail. Repeat.“ erfolgreich, oder?

Ein potentieller Grund: Das Selbstverständnis klassischer Werbung als „Kunst der Überzeugung“ wird als manipulativ empfunden, weil es versucht selbst schlechte Produkte oder destruktive Unternehmen ins rechte Licht zu rücken. Im Gegensatz dazu wird das Schaffen von authentischem Dialog und Mehrwerten für Menschen (z. B. durch nützliche Plattformen) als weitaus höhere Belohnung betrachtet, als jegliche Preise bei Awardshows.

Komplexität ist kein Problem, sondern eine Herausforderung. Darum wird sie nicht als negativ bewertet. Im Gegenzug gerät das große Ganze bei 100 offenen Jira-Tickets gern mal aus dem Blickfeld, und die Schönheit einer finalen Kreation wird nicht immer wirklich gewürdigt.

Mr. Robots verlieren sich gern in technischen Details der Umsetzung, hinterfragen dafür das „Warum“ einer Aufgabe mitunter aber nicht. Schwierig sind für sie eher vermeintlich einfache, aber nicht durchdachte Lösungen. Zum Beispiel, wenn die Klassik-Kollegen eine schick angescribbelte Digital-Maßnahme präsentiert haben (schon wieder!), ohne vorher im geringsten zu prüfen, ob und wie das denn bitte technisch funktionieren soll.

Digitale Kreative kommen da lieber mit den technisch stimmigen Prototypen, detaillierten Wireframes oder seitenlangen User Flows um die Ecke. „Ok, sieht noch Scheiße aus, funktioniert aber. Ist ja auch noch nicht final, der Kunde braucht nur die nötige Abstraktion. Im nächsten Schritt kann man das nochmal in schick machen.“ Das man auch technische durchdachte Lösungen erstmal bestmöglich verkaufen muss, um sie überhaupt entwickeln zu können, ist dabei oft nicht bewusst.

Organisationsformen & Arbeitsweise: Die Präferenzen von Mr. Robot’s für Prinzipien wie Offenheit und Kollaboration prägen die Organisationsformen vieler Digital-Agenturen. Spezialisierungen und Arbeitsteilung in Frontend, Backend, Design, PM etc. gibt es hier zwar auch, der Teamspirit und die gegenseitige Anerkennung sind aber weitaus stärker als in Klassik-Agenturen.

Wie beim Counter Strike spielen bringt man den Produkt-Launch mit Teamwork durchs Ziel, statt einzelne Spieler hervorzuheben. Wenn es hart auf hart kommt, opfert man sich auch mal fürs Team oder tut Dinge, die nicht in der Job Description stehen, damit das Team gewinnt. Und da jeder den Anspruch hat, Probleme selbst lösen zu können, gibt es auch selten ein „Ich kann oder will das nicht“.

Da Teamspirit und gleichberechtigte Kollaboration selbstverständlich sind, fallen Hierarchien meist flach aus und haben weniger Bedeutung. Kritik wird eher konstruktiv empfunden, weil sie nicht als persönlicher Angriff gegen eine individuelle Kreation gewertet wird. Sondern als nötige Korrektur am gemeinsamen Produkt.

Die Kehrseite dieser Arbeitsweise ist mitunter ein fehlendes Gefühl der individuellen Verantwortung für ein Ergebnis. Ohne eine starke Vision und individuelle Ownership für ein finales Produkt enden Mr. Robot-Teams auch mal mit Interfaces aus der Hölle und buggeplagten Produkten – wie viele Regierungs-Websites oder frühe Microsoft-Produkte zeigen.

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Der Ausweg:
Wie Mad Men & Mr. Robots besser zusammen arbeiten können.

Was nun? Zugegeben: die og. Persönlichkeits-Archetypen sind stark zugespitzt und kommen in der extremen Form kaum noch vor. Aber seien wir ehrlich – wir kennen alle genug Personen oder Agenturen, in denen diese Mindsets auch heute noch auf die andere Weite weiter existieren.

Dabei könnte es so einfach sein, die Grabenkämpfe ein für alle Mal zu beenden:

1. Ehrliche Reflexion: Wir müssen uns diese Denkmodelle bewusst machen, sie hinterfragen und lernen, konstruktiv mit ihnen umzugehen. Sonst verhindern sie weiter, dass Menschen gut zusammen arbeiten und Agenturen sich weiter entwickeln.

2. Ernstgemeinte Kooperation: Wir müssen aufeinander zugehen, die gegenseitigen Stärken anerkennen und das Beste aus beiden Welten vereinen. Große Geschichten können durch Nutzung neuer Technologien entstehen und erzählt werden. Technologische Lösungen für Probleme so emotional inszeniert und beworben werden, dass Menschen sie gern nutzen.

The future of agencies = Love Stories + Technology.

Das Potential für alle Arten von Agenturen da draußen liegt darin, weniger Werbung und mehr einzigartige Erlebnisse für Konsumenten zu schaffen. In einer Welt, in der sich Unternehmen immer weniger durch Preis, Produkt oder Service selbst voneinander abgrenzen können, kann Consumer Experience der Schlüssel für Differenzierung und Erfolg sein. Dafür brauchen wir Stories + Technologie, klassische und digitale Fähigkeiten gleichermaßen.

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Was Agenturen dafür anders machen sollten.

Wenn man die digitalen Gräben in Agenturen überwinden will, gehört natürlich mehr dazu als nur verschiedene Persönlichkeiten zu mehr Teamwork zu bewegen. Es ist auch nicht sinnvoll, alle Unterschiede nivellieren zu wollen oder nur noch Digital/Klassik-Hybriden einzustellen. Denn gerade die verschiedenen Persönlichkeiten und Denkmodelle sorgen ja für die notwendige Reibung bei der Arbeit, aus der großes entstehen kann.

Vielmehr müssen auf Geschäftsführungsebene die entscheidenden Weichen gestellt werden. Hier ein paar Denkanstöße für Maßnahmen, die in manchen Agenturen schon begonnen wurden, in anderen aber immer noch auf sich warten lassen.

1. Unternehmens-Leitbild überdenken: Agenturen brauchen ein neues Leitbild. Ganzheitliches Denken und Consumer-zentriertes Arbeiten in einer digitalen Welt sollte dabei im Mittelpunkt stehen.

  • Wie wäre es, „Consumer Experience“-Entwicklung zum Unternehmensziel zu machen? Statt Unternehmensleitsätze aus dem letzten Jahrhundert wie die „Kunst der Verführung“ weiter zu kultivieren?

Essentiell ist ein klares und offen kommuniziertes Commitment von oberster Ebene – einfach ein paar Sätze im Agentur-Manifest umschreiben und ansonsten weiter Schema F machen, funktioniert nicht. Vielmehr muss das neue Denken auch konsequent vorgelebt und eingefordert werden.

  • Wie wäre es, eine klare Roadmap für die Unternehmens-Neuausrichtung zu entwickeln – und sie auch öffentlich zu kommunizieren?
  • Wie wäre es, Awards in allen Kategorien zu feiern und das ganze Team zu würdigen?
  • Wie wäre es, sich für TV-Spots und Plattform-Entwicklung gleichermaßen zu interessieren?

2. Business Model neu ausrichten: Ein Commitment zu ganzheitlichem Denken hat auch entsprechende Konsequenzen für das Business Modell. Agenturen sollten ihre Wertschöpfungsstrategien kritisch hinterfragen und ggf. komplett neue Services, Produkte und Monetarisierungsmodelle entwickeln. Nein, einfach ‚Content Marketing’ und ‚Storytelling’ statt ‚Corporate Publishing’ und ‚Werbevideo-Produktion’ zu sagen reicht nicht aus.

  • Wie wäre es, das Unternehmen darauf auszurichten, Mehrwerte für Menschen zu schaffen und ihre Probleme zu lösen? Statt Bedarf für durchschnittliche Produkte von Marken zu wecken, die niemand braucht?
  • Wie wäre es, auf Projektbasis Leistungen wie Content-Entwicklung, Social CRM-Betreuung, Design, Development, Analytics, etc. anzubieten? Statt weiter auf Retainerbasis klassische oder digitale, ATL oder BTL-Maßnahmen zu entwickeln?

3. Organisations-Strukturen und Arbeitsweise anpassen: Um ganzheitlich denken und entsprechende Leistungen anbieten zu können, sollten Strukturen und Arbeitsweisen in Agenturen angepasst werden. Nein, nur neue Titel für die gleichen Units auf dem Org Chart reichen dafür nicht aus. Denn Unterteilungen in „Beratung/Accounting/PM, Kreation, Strategie/Planning“, bzw. Klassik-Units und Digital-Units halten Silos in den Köpfen sinnlos aufrecht und verhindern ganzheitliches Arbeiten.

  • Wie wäre es, Units nach Produkt-Verticals zu strukturieren? Zum Beispiel Content (TV, Webvideo, SoMe-Content), Campaigning & Social Communication (CRM, SoMe, SEA, Email Marketing), Design (Print, Literatur, Webdesign), Tech & Development (Plattformen, Apps, Messengerbots etc.), Analytics (Big Data-Analyse, Tracking, Web-Analytics, Media-Planning)? Wobei Beratung, Projektmanagement und Strategie als horizontale Ebene immer mitlaufen?

Gleichzeitig sollten neue Arbeitsweisen gefördert werden, die Menschen, Kollaboration und Prototyping in den Mittelpunkt stellen. Dazu gehören Methoden wie Design Thinking und Tools wie Slack oder Google Docs, aber auch Investition in Software und Weiterbildung für Programme wie Sketch, Adobe Experience Manager etc..

  • Wie wäre es, Teams individuell nach Projekt und benötigten Skills zusammen zu stellen, statt nach Unit-Zugehörigkeit?
  • Wie wäre es, nur noch Projekt-Teams mit Design / Copy / Code-Kompetenzen zusammen zu stellen? Statt weiter Art / Copy- bzw. Konzept / Design-Teams aufrecht zu erhalten?
  • Wie wäre es, Führungskräfte aller Abteilungen dazu anzuhalten, Kollaboration zwischen verschiedenen Persönlichkeitstypen und Gewerken zu fördern?
  • Wie wäre es, die Leistungsbeurteilung von Führungskräften auch davon abhängig zu machen, wie sie ihre Teams coachen und weiter bilden?
  • Wie wäre es, Mitarbeitern Zeit und Rahmenbedingungen für Weiterbildung von essentiellen Fähigkeiten zu schaffen? Statt zu hoffen, dass sie sich diese nach 60h-Wochen in der Freizeit aneignen?

Fazit.

Also, liebe Mad Men, liebe Mr. Robots, liebe Klassik- und Digital-Agenturen: Springt über Eure Schatten, stellt Euch aufeinander ein, vereint Eure Talente, auch wenn es erstmal anstrengend ist – und stellt mutig die Weichen im Unternehmen.

Die Zukunft braucht weder klassische Unterbrecher-Werbung, noch unemotionale Software-Monster. Sondern mehr Consumer Experiences, die Menschen mit tollen Geschichten, Angeboten und Services begeistern.

Image Credits:

Bild von P1xer, Deviantart
Bild von VarshaVijayan, Deviantart / CC BY-NC-ND 3.0

Alex Glasneck

Alex Glasneck ist Strategy Consultant für Brand, Digital & Experience. Er berät Unternehmen zu Digitalisierung und Innovation - und schreibt über Chancen und Risiken der neuen, digitalen Welt.

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